Es war einer der Tage, an denen man sich vornimmt, früh ins Bett zu gehen, und dann doch irgendwie stundenlang wach liegt und die besten Ideen fabriziert. Und so lag ich in tiefster Dunkelheit in meinem Bett und beschloss den Laptop einzuschalten, Facebook zu öffnen und einen – wie sich noch zeigen sollte gravierenden – Satz einzutippen:
„Leute, ich wurde bei Harvard angenommen“
Ein wenig Selbstdarstellung gehört im Internet und besonders auf sozialen Netzwerken immer dazu, das wurde durch diesen Satz aber auf ein ganz anderes Niveau gehoben. Ausgerechnet ich sollte derjenige sein, der es in einer der Prestige-Universitäten der Welt geschafft hat. Nach einer Minute gespanntem Wartens dann die erste Reaktion: Ein kleiner Kasten erschien in der unteren, linken Ecke des Bildschirm. „Nicola Rehbein gefällt dein Status“, und nach ein paar weiteren Sekunden „Nicola Rehbein hat deinen Status kommentiert“. Ich war überrascht und musste lachen; die nächsten Minuten verstrichen damit, dass alle paar Sekunden eine Benachrichtigung erschien, dass entweder mein Status Gefallen findet oder jemanden diesen kommentiert hat. Die kleine Weltkugel im oberen Bereich zeigte nun eine Zahl auf rotem Hintergrund an, die sich in unregelmäßigen Abschnitten erhöhen sollte. Ich erhielt Benachrichtigungen. Benachrichtigungen darüber, dass meine Freunde diesen Satz ziemlich ernst nehmen und mir alles Gute für die Uni wünschen. Dass sie mir zu einer Lüge gratulieren und denken, dass ich nach dem Abi wieder in die USA ziehe. Eine erste kritische Nachricht ließ aber nicht lange auf sich warten – „Wie hast du denn das mit Harvard hinbekommen? Glückwunsch!!“. Doch sollte es dennoch bei nur einer kleinen Anzahl an zweifelnden Kommentaren und ungläubigen Nachrichten bleiben.
72% lustig, 25% schlechtes Gewissen, 3% ernüchternd
Auf der einen Seite ist es natürlich äußerst charmant und schmeichelnd, dass man auch ohne Bewerbung an der Harvard University in Massachusetts angenommen wird – und das dann sogar geglaubt wird. Auf der anderen Seite ist es aber genauso erschreckend und ernüchternd, wie ernst manche Personen das im Internet Geschriebene nehmen. Und so sollte ein Tag enden und ein neuer beginnen, an dem mir immer mehr Menschen zu meiner Leistung gratulieren und beglückwunschen. Wir befinden uns in der Mensa der Ursulinenschule, mittlerweile hat sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. „Mensch, mir ist gestern Abend richtig der Mund aufgeklappt, als ich das gelesen hab! Richtig cool!“, so eine Freundin. Ich kann mir ein Lachen nur notdürftig verkneifen und so fragt eine andere, um was es denn eigentlich ginge. „Hast du’s nicht gehört? Er wurde bei Harvard angenommen!“. Ich wünsche guten Appetit und verabschiede mich. So ziemlich 72% lustig, 25% schlechtes Gewissen und 3% ernüchternd. Ich weihe ein paar Personen am Tisch ein, dass ich mir das alles nur ausgedacht habe. Natürlich ist die ganze Sache unglaublich witzig und amüsant, doch irgendwo dazwischen ganz schön traurig und nicht nur mir wird bewusst, wie leichtgläubig man doch sein kann.
Mittlerweile ist die Nachricht auch auf den älteren Jahrgang übergeschwappt. Ich genieße die ungewöhnlichen Blicke auf dem Weg zum Unterricht, als ich nach Hause komme finde ich dann diese Nachricht von Anni vor:
Nun ist das ganze Naivität oder eine urpositive Überzeugung, in bestimmten Situationen vorhandene Zweifel beiseite zu schieben und sich einfach für Andere zu freuen? Eine solche Frage kann wahrscheinlich nur jeder für sich selbst beantworten. Es ist aber dennoch herzlich erfrischend zwischen Beiträgen von der letzten Nacht mit zu viel Alkohol und den neuesten Trennungsneuigkeiten auch einfach mal zu lesen, wie sich Personen für Andere freuen.
Vielleicht sollte es uns allen aber auch eine Lehre sein, dass eben nicht alles im Internet der Wahrheit entspricht. Ist es nicht unsere Aufgabe als moderner Mensch und aufgeklärter Bürger, die Dinge zu hinterfragen und reflektieren? Sollten wir nicht in der Lage sein, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden? In einem Zeitalter, in dem die Authentizität von Bildern durch Dinge wie Photoshop immer fraglicher wird und die Medien immer sensationsgeiler und erfinderisch werden, müssen wir das vielleicht neu lernen. Neu lernen, nicht allem Glauben zu schenken und das eigene Denken wieder in den Vordergrund zu stellen.