„Bitte entscheiden Sie sich für die Aussage, die bei Ihnen am meisten zutrifft und melden Sie sich anschließend.“
Mit dieser Aufforderung eröffnet Pfarrer Helmut Törner-Roos von der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck seinen Vortrag. Er steht im Treffpunkt der Ursulinenschule inmitten von Politik und Wirtschaft-Kursen der E2,den dazugehörigen Lehrern sowie der Leitung der Mensa. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Comenius-Koordinatorin Birgit Anders in Kooperation mit Dr.Frank Lilie vom Bettina-von-Arnim-Forum, der auch die Moderation unternahm.
„Ich esse sehr gerne Fleisch“: Ein Großteil der Hände schnellen in die Höhe. „Ich esse gerne Fleisch.“ – auf ein gutes Maß der Anwesenden, einschließlich ihm selbst, trifft diese Selbsteinschätzung zu. Die beiden kommenden Aussagen „Ich esse hin und wieder mal Fleisch, ich brauche es jedoch nicht“ und „Ich bin Vegetarier“ teilen sich die restlich verbliebenen, erhobenen Hände, was mit zehn Prozent auch den ungefähren Anteilen der deutschen Bevölkerung entspricht.
Für den Großteil der in Deutschland Lebenden sei eine Umstellung, also ein Verzicht auf Fleisch oder zumindest eine Verminderung des Konsums, nahezu unvorstellbar. Seit 1980 habe sich der durchschnittliche Fleischkonsum von ca. 30kg auf 87kg pro Jahr verdreifacht: „In seinem Leben isst jeder Einzelne von uns ca. 22 Schweine, 7 Rinder, 20 Schafe und 600 Hühner.“ Um diesen enormen Bedarf zu decken, werde besonders Geflügel zu Zehntausenden auf engstem Raum geradezu gestapelt und auf ein möglichst schnelles Heranwachsen gezüchtet. So schnell, dass das Skelett der Tiere mit dem Wachstum gar nicht mehr in der Lage ist, Schritt zu halten. Somit sei das Bewegen für die Vögel, die in ihrem ganzen sechswöchigen Leben nicht einmal die Sonne sehen, unmöglich. Pfarrer Törner-Roos veranschaulicht die Fakten mit einem Film, der vom Saal mit Schweigen und entsetzten Blicken empfangen wird. „Diese Bilder sind leider nur die Spitze des Eisbergs“, merkt er an.
Doch der Fokus des Vortrags liegt nicht bei den erbärmlichen Lebensbedingungen von Zuchttieren: Vor allem sprach der Geistliche über die globalen Folgen des Fleischkonsums bei Menschen: „95% der Tiere leben in so schlechten Bedingungen, dass Antibiotika eingesetzt werden müssen, um sie am Leben zu halten“ Medikamente werden in der Tierzuchtindustrie mit einer solchen Häufigkeit eingesetzt, dass die Lebewesen gegen sie immun werden. Genau diese Immunstoffe nehme der Mensch mit dem Fleisch auf und werde davon nun ebenfalls immun und lebensgefährlich krank. So wird die Zahl der dadurch jährlich versterbenden Menschen auf 15.000 geschätzt – dreimal mehr Tote als durch Autounfälle.
Armut und Unterdrückung in Entwicklungsländern als Folge
Neben den katastrophalen ökologischen Folgen beschreibt Helmut Törner-Roos die immensen sozialen Konsequenzen, die sich aus unserem täglichen Fleischkonsum ergeben. Armut und Unterdrückung widerfahren der Bevölkerung von Entwicklungsländern, z.B. in Südamerika, durch die Sojaindustrie. Um die Masse von Tiere ernähren zu können, werden unvorstellbar große Flächen mit Sojapflanzen angepflanzt. Würde man die Menge der so gewonnenen pflanzlichen Nahrung nicht zur Tiermast verwenden sondern zu Lebensmitteln weiterverarbeiten, wäre genug Essen vorhanden, um den Welthunger zu stillen.
Um Platz für diese Felder zu schaffen, seien bereits hunderte Quadratkilometer Regenwald abgeholzt worden. Doch damit nicht genug: Dieser Industriesektor sei so rentabel, dass selbst Dörfer „gerodet“ werden, um dort Soja anzubauen: So wird mit allen Mitteln versucht, die Bewohner der Dörfer, in denen sie bereits seit Generationen leben, von einer Umsiedlung zu überzeugen: mit einem Kaufangebot. Und falls das nicht angenommen wird, tauche plötzlich eine Gruppe bewaffneter Männer auf und mache Druck. Es gibt Amateurvideos, die zeigen, wie Berufspolizisten ein Dorf in Brand gesteckt haben und die widerstandsleistenden Zivilisten verletzen und foltern. Die dann vertriebenen Menschen leben ohne Existenzgrundlage in Slums. Ihnen fehle es an allem. Zusätzlich sorgen die für die Sojapflanzen eingesetzten hochschädlichen Pestizide für Krankheiten. Der hohe Fleischkonsum in den Industrieländern hat also äußerst problematische soziale Folgen. „Die Welt ist ein Dorf – durch die Globalisierung sind wir mit den Menschen in Paraguay verbunden, ohne sie persönlich zu kennen, und damit tragen wir auch Verantwortung“, so Törner-Roos.
Was kann man dagegen tun? Wenn ich weniger Fleisch esse, ist das doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Tatsächlich wird man als Einzelperson wenig bewirken können. Doch das Anliegen des Redners ist auch keinesfalls, die Deutschen zu einem Volk der Vegetarier zu machen. Das Problem liege nicht darin, dass man Fleisch esse, sondern wie viel und welches Fleisch. Er kritisiert die Firmen, die dafür gesorgt hätten, dass es so weit kommen konnte. Jeder Kauf von Billigfleisch unterstütze das ethisch absolut nicht vertretbare Vorgehen der großen Unternehmen. Die Lösung: Der Kauf von Biofleisch aus der Region. Dieses sei zwar bei weitem teurer als anderes Fleisch, dafür seien jedoch die globalen Nachteile nicht mehr gegeben – ein Plädoyer also für die „Politik mit dem Einkaufskorb“. Abgesehen davon geben die Deutschen gerade einmal durchschnittlich 12% ihres Einkommens für Lebensmittel aus (im Vergleich dazu waren das im Jahre 1960 noch 33%). „Der neue Trend: Halbzeitvegetarier. Zwei Menschen reduzieren ihren täglichen Fleischkonsum um jeweils die Hälfte, sodass sie zusammen zu einem Vegetarier werden.“ Das davon gesparte Geld könne dann in Fleisch investiert werden, dass der Menschheit weniger schadet. Diese Vorschläge sorgten für eine positive, jedoch auch äußerst diskussionsfreudige Reaktion der Schüler. Auch der Gong zur Pause konnte das Interesse nicht stoppen.
Ursulinenschule geht mit gutem Beispiel voran
Im Essensplan der Ursulinenschulmensa spiegelt sich diese Entwicklung ebenfalls wider: Jeden Freitag gibt es vegetarisches Essen. An den restlichen Tagen wird Fleisch aus der Region oder eine vollwertige, vegetarische Mahlzeit angeboten. Die im Februar vom Comenius-Projekt durchgeführte „Veggie-Week“ war ein voller Erfolg. Auch die Einstellung der Schüler gegenüber Fleisch hat sich verändert: Zwar gingen einige Schüler aufgrund der Vorenthaltung von Fleisch auf die Barrikaden, doch die Mehrheit gestand ein, dass so eine fleischlose Woche etwas ziemlich Gutes sei, und wäre mit einer Wiederholung einverstanden – „aber nur, wenn unsere Mensa das so gut macht wie das letzte Mal!“