Ein Mann in Anzug tritt an das Rednerpult, hinter ihm stehen gelbe Blumen auf der Präsidiumsempore. Der weiße Saal ist ein recht trostloser im Baustil der 60er Jahre. Mit Fassung und in sich ruhend steht er da, er, der sechste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, er, Richard Freiherr von Weizsäcker.
Es ist der 8. Mai 1985. Von Weizsäcker hält eine Rede anlässlich des 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation. Sie sollte der Nachwelt als seine bedeutenste und wichtigste Rede in Erinnerung bleiben. Der Mann, dessen Vater einst Botschafter und Staatssekretär im Dritten Reich war und dessen Bruder am zweiten Tag des Weltkrieges als einer der ersten von Millionen Menschen sein Leben lassen musste, wurde 1920 in Stuttgart geboren.
Weizsäckers Kindheit war von vielen Umzügen gezeichnet, da der Vater oft den Dienstort wechselte. Er las als Jugendlicher nicht die Nazipresse, sondern freie Zeitungen, die es an seinem Wohnort zu kaufen gab, etwa in Zürich. Nach dem Abitur, das der Freiherr in Berlin ablegte, besuchte er Universitätslesungen in England und Frankreich. Dann kam der Krieg und Richard wurde eingezogen, nachdem ihm ein französischer Arzt die Tauglichkeit bescheinigt hatte. Er kämpfte in Polen und an der Westfront, nahm am Unternehmen Barbarossa teil , wurde verwundet und gehörte zu den Soldaten, die im Fernglas den Kremel sehen konnten. Nach der Beförderung zum Oberleutnant, die ihm den Einsatz in der Frontzentrale sicherte nahm er an der Blockade von Leningrad teil. Im März 45 flüchtete er zu einer Verwandten am Bodensee, wodurch er der Gefangenschaft entging.
Weizsäcker war allerdings nicht der NS-Anhänger, wie es scheint. Er hatte Kontakte zu dem Kreis der Attentäter vom 20. Juni 1944 und deckte einen der Mitplaner durch Zerknüllen des Haftbefehls. Später studierte von Weizsäcker Jura in Göttingen, verteidigte seinen Vater als Hilfsanwalt im Berliner Wilhelmsstraßenprozess und ging in die Wirtschaft zu Mannesmann und später zu Boehring.
1966 verlor er die interne Vorabstimmung zur Präsidentenwahl, worauf einer seiner Söhne den Namen des Gegenkandidaten Gerhard Schröder (CDU) nicht mehr in den Mund nahm. Schließlich wurde von Weizsäcker Bundestagsabgeordneter und Vizepräsident des Parlaments. Zudem war er erster ehrenamtlicher Kirchentagspräsident der Evangelischen Kirche Deutschlands und setzte sich für einen Dialog zwischen den Kirchen in Ost und West ein. 1981 ging er nach Berlin um Regierender Bürgermeister zu werden. Dort war er beliebt und unterhielt sich etwa mit den U‑Bahngästen über das gestrige Konzert oder redete in Talkshows im Berliner Dialekt.
Nach seiner umworbenen Rede vom 8. Mai wurde Weizsäcker 1989 im Amt bestätigt und machte indirekt Geschichte als erstes Staatsoberhaupt des wiedervereinigten Deutschlands. Er kritisierte seinen einstigen Förderer und Bundeskanzler Kohl und zerstitt sich mit diesem. Er meldete sich selten zu Wort und wenn, dann als eine Art Mahner, der scheinbar unwichtige Aspekte ansprach. Seinen Dienstsitz verlegte Weizsäcker nach Berlin und trat für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands ein.
Er war der bis heute einzige Bundespräsident, der ohne Gegenkandidat gewählt wurde. Polemik sparte sich Weizsäcker, er stand stets über den Dingen und agierte als großer Staatsmann. Er war der richtige Präsident zur richtigen Zeit, ein weiser Mann, ein Vorbild, aber stehts humorvoll. Am 31.01.2015 starb Richard Freiherr von Weizsäcker in Berlin, am 12.02. diesen Jahres wurde er mit allen protokollarischen Ehren durch einen Trauerstaatsakt gewürdigt und auf dem Waldfriedhof Dahlem begraben.