Bischof Heinz Josef Algermissen, oberster Hirte des Bistums Fulda und somit auch der Ursulinenschule, war bei uns zu Besuch. Für uns Schüler der Jahrgangsstufe 13 eine absolute Autoritätsperson.

Nach Ankündigung seines Besuches zu einem Diskussionsgespräch mit uns wurde lange überlegt, welche Fragen man denn so einem Bischof stellen könne — und ob überhaupt alles thematisiert werden dürte, auch kritische Themen.

In den einzelnen Religionskursen — je ein evangelischer und katholischer Grundkurs sowie die entsprechenden Leistungskurse — überlegten wir zunächst, was uns interessiert und wie man die Fragen — auch die kritischen — möglichst angemessen formuliert.

Dann war der Tag des Besuches da und alle überlegten Konzepte waren mehr oder weniger vergessen, als wir dann dem Bischof gegenübersaßen. Zu Beginn herrschte unangenehmes Schweigen. Die Schüler, die zunächst verunsichert waren, erlebten dann aber einen überraschend aufgeschlossenen Bischof. Schnell wurden die anfängliche Distanz und autoritäre Atmosphäre aus dem Weg geräumt. Uns wurde versichert, dass wir jede Frage, die uns beschäftigt, vortragen dürften. Die Erleichterung war spürbar: „Er ist ja gar nicht so streng und scheinbar durchaus dialogbereit.“

Bischof Algermissen sagte uns, dass wir nicht besser als Jesus sein müssten, der auch zweifelte und am Kreuz fragte: „Vater, warum hast du mich verlassen?“ Somit habe auch er die Existenz nicht beantwortbarer Fragen festgestellt. Nach diesen Worten des Bischofs war das Eis bei uns gebrochen und die ersten Fragen ließen nicht mehr lange auf sich warten.

Zunächst erkundigten wir uns nach den persönlichen Beweggründen bezüglich der Berufswahl zum Priester. Und wir fragten nach seiner Glaubenseinstellung. Sehr ausführlich wurden wir in ein Leben und einen Lebensweg eingeweiht, der uns gar nicht so fremd erschien: Fragen nach dem Sinn und die Suche nach Antworten — welcher Schüler kennt das nicht?

Nach dieser Einleitung folgten auch die gefürchteten kritischen Fragen, die aber dennoch angenommen und beantwortet wurden. So interessierte uns die Frage nach dem Zölibat, gerade auch in Anbetracht der Missbrauchsfälle, die uns auf schreckliche Weise geprägt haben. Aber auch die Frauenrolle in der katholischen Kirche und das Kondomverbot in Zusammenhang mit der Aidsproblematik in Afrika beschäftigten die Schüler.

Einige Antworten des Bischofs wurden von den Schülern unterschiedlich aufgenommen. Am Ende stellte sich heraus, dass es zu bestimmten Themen unterschiedliche Auffassungen gibt. Doch der Bischof betonte, dass jeder das Recht habe, eine andere Meinung zu haben.

Rückblickend ist dies auch ein wesentliches Ergebnis der Diskussion. Für uns junge Menschen sind gewisse Traditionen schwer nachvollziehbar und die Beweggründe, freiwillig ein Leben im  Zölibat zu führen, ebenso fremd wie das Verbot des Frauenpriestertums in einer Welt der Gleichberechtigung.

Aber auch der Bischof als Kirchenvertreter dürfte wohl ein wenig staunend an diese kritische und wissensdurstige Meute gedacht haben, als er auf dem Heimweg nach Fulda war.

 

Eines steht fest.

Wir haben einen Anfang gesetzt für den Dialog, der den Spalt zwischen uns und unseren Kirchen überwinden soll. Das — und darin sind wir uns nach dieser Diskussion wohl einig — ist ein langer Weg. Er wird viel Kraft kosten und alles andere als leicht werden.

Wir sind die Generation, die nicht nur die sozialen Probleme der Welt angehen muss, sondern auch einen neuen Bezug zu den Kirchen finden sollte. Demnach müssen  Gespräche zwischen Vertretern der Kirchen und den Schülern öfter stattfinden, denn uns gehen die Fragen bestimmt nicht so schnell aus.